Einige meiner Leserinnen und Leser haben sicher mitbekommen, dass meine Schwester Aneta im Heim wohnt. Ihr größter Feind, wie sie selbst sagt, ist die Depression, und das richtige Medikament ist wohl für sie noch nicht erfunden worden. Vielleicht gibt es das auch, doch es findet sich kein Arzt, keine Ärztin, der oder die sich Aneta einmal zuwenden und ihr helfen würde … wenigstens es versuchen würde! Momentan ist sie in dieser Hinsicht völlig aufgeschmissen.
Die Psychiaterin, bei der sie in Behandlung ist (sein sollte!), lässt sich seit vielen Monaten nicht mehr blicken. Aneta ist von Natur aus kämpferisch, sie nimmt nicht alles schweigend hin und gibt nicht so schnell auf. So hatte sie schon mehrmals in der Praxis dieser Ärztin angerufen und versucht, auf sich aufmerksam zu machen, wurde jedoch immer wieder abgespeist mit Worten wie: Frau Doktor ist krank … Frau Doktor ist gerade im Urlaub … Frau Doktor kommt nächsten Freitag ins Pflegeheim. Doch die Ärztin kam nicht – weder am nächsten noch am übernächsten Freitag.
Anetas letzter Anruf erbrachte ihr die Aufforderung, in die Praxis zu kommen zwecks Blutabnahme. Also fuhr mein Neffe seine Mutter zum Bluttest. Danach vergingen aufs
Neue mehrere Wochen, bis eines Morgens eine Pflegerin zu Aneta ins Zimmer kam und verkündete: „Wenn Sie leben wollen, dann müssen Sie sofort ins Krankenhaus.“
Aneta, wie vom Donner gerührt: „Wieso, was ist los?“.
„Ihre Blutwerte sind sehr schlecht, Frau Doktor hat uns bereits eine Einweisung zukommen lassen.“
Voll in Panik rief Aneta mich an: „Was soll ich denn jetzt machen, muss ich wirklich wieder ins Krankenhaus gehen? Ich will aber nicht.“
Da die Pflegerin noch im Zimmer war, bat ich Aneta, ihr das Handy zu geben. Doch mein Versuch, etwas Genaueres zu erfahren, stieß immer wieder auf: „Schlechte Blutwerte, Verdacht auf Parkinson
und Epilepsie. Aber wenn Ihre Schwester nicht ins Krankenhaus will, muss sie doch nicht, sie kann einfach Nein sagen.“
Natürlich willigte Aneta ein und packte ihre Siebensachen zusammen …
Am Nachmittag rief sie mich erneut an: „Du kannst mir gratulieren, Rosa.“
„Weswegen? Weil du jetzt in der Klinik bist?“
„Ha-ha! Ich bin wieder zurück.“
„???“
Nun erzählte sie, dass man sie in die Psychiatrie gefahren hätte, mit der sie
übrigens bereits ziemlich unangenehme Erfahrungen gemacht hatte. Dort beäugte man die Kranke und begutachtete die Einweisung: „Sie waren doch schon bei uns und es wurde alles getestet, Sie haben
weder Parkinson noch Epilepsie. Für alles andere müssen Sie sich an das allgemeine Krankenhaus wenden.“
„Und? Willst du jetzt in ein anderes Krankenhaus gebracht werden?“, fragte ich Aneta.
„Nein, die können mich mal!“
Richtig so, dachte ich, und ja … sprach es auch gleich laut aus.
Das alles ist vor ein paar Wochen gewesen. Was mit den Blutwerten nicht stimmte, konnte Aneta bisher keiner sagen. Das bleibt wohl ein dunkles Geheimnis. Von der Psychiaterin gibt es nach wie vor
keine Spur – sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Aber ich kenne ihren Namen und könnte ihn hier veröffentlichen, wenn ich wollte. Ich hatte ihr sogar im Februar eine E-Mail geschrieben, mit der
Bitte, meiner Schwester ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Was meint ihr, hat sie mir geantwortet? Nichts. Null. Anscheinend interessiert sie kein bisschen, ob die Menschen in einem Heim ihre Hilfe
brauchen oder nicht. Sie sind alt, es spielt doch keine Rolle, wenn sie zusätzlich noch psychische Probleme haben. Die werden es schon irgendwie schaffen, so lange müssen sie sich ohnehin nicht
mehr durchs Leben schlagen …
Und wie es aussieht, kümmert es das Heimpersonal ebenso wenig, wenn sie nicht einmal bemüht sind, einen anderen Arzt für ihre BewohnerInnen zu engagieren.
Vielleicht sollte ich in meinem Blog eine neue Rubrik einführen: „Geschichten aus dem Pflegeheim“. Oder so ähnlich … Ich hätte da schon eine ganze Reihe vorzuweisen. Das, was ich alles vom Alltag in dieser Einrichtung aus erster Hand höre, entzieht sich oft meinem Verständnis.
Meine Schwester ist leider nicht mehr so fit im Kopf, wie sie einmal war. Sie kommt deswegen schlecht gegen die Pflegekräfte an. Die meinen ja, ihr überlegen, um Köpfe größer zu sein; sie wissen
alles besser, auch was die Frau braucht und was sie nicht braucht. Sie nutzen ihre Vergesslichkeit aus, verdrehen ihr nicht nur die Worte im Mund, sondern auch die Tatsachen. Die Alte
erinnert sich sowieso nicht mehr richtig, wie es war, denken sie. Der kann man alles auftischen, denken sie. Doch das stimmt nicht. Sie merkt die Gemeinheiten und sie verzweifelt an
der eigenen Hilflosigkeit.
„Womit habe ich das nur verdient?“, fragt sie mich. „Was habe ich ihnen angetan, außer dass ich alt und krank bin?“
Eine Bemerkung am Rande: Meine Schwester zahlt selbst für das Zimmer im Heim, und zwar den vollen Beitrag. Ihre ganze Rente geht drauf, um da leben zu dürfen, wo sie fast täglich schikaniert wird – wie krass ist das denn? Dabei möchte sie doch bloß Ruhe und Frieden in der ihr noch verbleibenden Zeit haben.
PS: Natürlich sind nicht alle Pflegekräfte so respektlos – das will ich gar nicht behaupten. Aber es genügt schon, wenn sich darunter eine (oder zwei, oder drei) solche „Anna“ befindet, der es an Empathie, Menschlichkeit und Achtung mangelt.
PS: Natürlich sind nicht alle Pflegekräfte so respektlos – das will ich gar nicht behaupten. Aber es genügt schon, wenn sich darunter eine (oder zwei, oder drei) solche „Anna“ befindet, der es an Empathie, Menschlichkeit und Achtung mangelt.
Kommentar schreiben