Im Dorf

"Die Reise zurück - Wo ich einmal war", Teil 4

Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin ... eine besondere Etappe der Russlandreise. Ich gebe zu – ich hatte Angst, dahin zu fahren, obwohl dieses Gefühl mir selbst völlig irrational vorkam. Erst Jahre später sollte ich den Grund dieser seltsamen Beklemmung erkennen und somit auch verstehen, warum ich schon als Kind depressiv war. Im Jahr 2003 hatte ich nicht die geringste Ahnung ...

In diesem Haus, das Vater zuletzt gebaut hatte, wohnte  er mit seiner zweiten Frau bis zur Ausreise (1993) nach Deutschland. Er verkaufte es für kleines Geld an eine russische Familie. So sah es 1995 aus, noch einigermaßen gepflegt ...

Nein, das kleine Häuschen links ist nicht das Nachbarshaus, sondern die Sommerküche. Fast alle Schönfelder hatten zusätzlich zu der Küche im Haus noch eine sozusagen externe Küche. Deren Sinn und Zweck war einfach - im Sommer möglichst wenig Dreck ins Hauptgebäude zu tragen und die vielen Fliegen fern zu halten.

So - ziemlich heruntergekommen - fand ich das Haus 2003 vor. 

Neben mir die Besitzerin des Hauses, die freundlicherweise mit uns gesprochen und erlaubt hatte, Fotos zu machen. Ins Haus selbst hatte sie uns nicht eingeladen und ich verspürte auch nicht den Wunsch, das Innere zu sehen.

Mit diesem Auto fuhr uns Olgas Schwiegersohn nach Schönfeld und zurück; die einfache Entfernung beträgt 100 Kilometer. Dabei (so ganz nebenbei) wurde eine Felge durch Schlaglöcher beschädigt.

 

Hier war ich seit meinem achten Lebensjahr zu Hause, bis ich nach dem Tod meiner Mutter mit 17 auszog. Es sieht genauso ungepflegt aus, wie das davor. Wer es jetzt bewohnt, kann ich nicht sagen, nehme jedoch an, dass es auch Russen sind. Das ganz alte Haus, in dem ich geboren bin, existiert nicht mehr, es stand einst weiter rechts auf dem selben Grundstück.

In diesem Hof spielte ich als Kind und auf der kleinen Holzbank saß ich oft im Schatten des alten Ahornbaumes und dachte nach – über Gott und die Welt und über mich selbst. 

Das Grab meiner Mutter Ida Schütz
Das Grab meiner Mutter Ida Schütz

Weil der Friedhof mit hohem Gras zugewachsen war, konnte  ich zunächst das Grab meiner Mutter nicht finden und geriet schon fast in Panik. Dann entdeckte ich es doch noch und es war auch relativ sauber drumherum. Anscheinend kümmerte sich jemand aus dem Dorf um die Ruhestätte.

Ich spürte einen Kloß im Hals und mein Herz zog sich zusammen, als ich ein Sträußchen Blumen auf das Grab stellte und daran denken musste, dass meine Mutter hier ganz allein unter der Erde geblieben ist. Sie hatte nicht mehr erfahren können, dass es außer Diktatur, Gewalt, Ungerechtigkeiten und Leid auch noch ein anderes, ein besseres Leben gab. Sie war erst 58 Jahre alt, als der Tod sie holte.

So sehen die Gräber in Russland aus
So sehen die Gräber in Russland aus

Familie Schütz (ohne den zwei ältesten Geschwister und der zweijährigen Erna). Das Mädchen vorne bin ich im Alter von fünf Jahren.

Jakob, Aneta, Ida, vorne Rosa und die kleine Erna

 

Fortsetzung folgt

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Kommentare: 3
  • #1

    Christel Wismans (Samstag, 30 Januar 2016 23:48)

    ich versuche, mich da hinein zu versetzen...
    Ist es dir nicht wahnsinnig schwer gefallen, zurück zu gehen, dahin, wo deine Gefühle ihren Ursprung haben? Ohne es zu wissen mit dem Wissen, sondern nur mit dem Gefühl?
    Und diese Bank- auf der du so oft gesessen hast als Heranwachsende mit den wirren Gefühlen und Hoffnungen...
    Ich denke, es war für dich eine Lawine aus der Vergangenheit

  • #2

    Rosa (Montag, 01 Februar 2016 12:17)

    Liebe Christel, ja, es war ein sonderbares Gefühl und ich wollte mich im Dorf auch nicht lange aufhalten. Und wiederum war es gut, dass ich da war. Hauptsächlich ging es mir ja darum, das Grab meiner Mutter zu besuchen. Ich denke, ich hätte es mir nicht verzeihen können, wenn ich nicht hingefahren wäre.

  • #3

    Ilona Munique (Freitag, 19 Februar 2016)

    > Und wiederum war es gut, dass ich da war.

    Da fiel mir die Redewendung ein: "Bei Licht betrachtet …". Diffuse Bilder der Erinnerung, gepaart mit Fantasie und Träumen, sie brauchen zuweilen einen Abgleich mit der nüchternen Realität, um wieder einordenbar zu sein.
    Der zeitliche Abstand zur Vergangenheit tut gut, doch wenn er zu lange andauert, kann sich sich der positive Effekt irgendwann auch wieder umkehren. Ein erneutes Hinsehen ist dann wie "Brille putzen". Wobei ein scharfes Bild ohnehin nicht mehr entsteht, der Filter des Lebens lässt nicht mehr alles durch. Und das ist ja auch gut so, wir würden sonst verrückt werden mit all dem Ballast.
    So jedenfalls verstehe ich es, das kann natürlich bei jedem Menschen anders aussehen.

    Das Grab deiner Mutter zu besuchen mag ein Stück weit Versöhnung herbeiführen. Oder?!

    Toll, dass du die Reise bis hierher geschafft hast. Wie wohl deine "Nachwehen" dazu aussehen werden? Ich muss unbedingt weiterlesen …