Ein Tag von vielen

Es gibt Tage, an denen ich schon beim Aufwachen weiß – dieser wird nicht gut … Ich öffne die Augen und möchte sie am Liebsten wieder schließen und so diesem qualvollen Gefühl entfliehen, dem Gefühl, das man als Depression bezeichnet. Ich hasse dieses Wort – seit dem Augenblick, als ich begriffen habe, dass sie Teil meines Lebens ist. Aber es hilft nicht, der Hass schreckt die graue Hexe (wie ich sie oft selbst nenne) nicht ab und lässt sie nicht verschwinden.

Zum ersten Mal besuchte sie mich vor vielen, vielen Jahren – ich war noch ein Kind … und seitdem kommt sie immer wieder mal vorbei. Sie schleicht sich meistens schon nachts in meinen Schlaf und sobald ich wach bin, schlägt sie voll zu. Sie trampelt auf mir herum und raubt mir den Mut, die Kraft und die Freude. Gemein und hinterhältig sucht sie sich meine Schwächen heraus und setzt sie gegen mich ein. Das ist es ja, was sie doppelt so abscheulich macht – wenn sie einmarschiert, dann schleppt sie in ihrem Schatten, um Vielfaches vergrößert, alle meine Sorgen und wunden Punkte mit. Sie schüttet sie über meinen Kopf aus und grinst dabei: „Na, wie wirst du damit fertig?“

Den Tag zu beginnen ist eine Qual. Aber ich ignoriere sie. Ich versuche es zumindest! ich bin ich, ich bin stärker! Ich stehe auf, ich lebe meinen Tag, Schritt für Schritt. Obwohl jeder Schritt einem Kampf gleicht, jeder Schritt mir Angst macht und manchmal eine enorme Überwindungskraft erfordert. Zum Glück – sage ich mir – zum Glück ist sie diesmal allein, ohne ihren Partner. Denn der … der ist noch viel grauenvoller. Der ist ein Monstrum unter Monstern. Sein Name ist Panik und er ist nur aufs Vernichten aus …

Wie an jedem unschönen Tag, der so anfängt, frage ich mich – was ist passiert, warum ist die Depression wieder da? Ich versuche mich zu erinnern, was ich geträumt habe … Obwohl ich immer viel und oft in allen Farben träume, sehe ich diesmal nichts außer einer leeren, dunklen Wand. Ich begreife (natürlich tue ich das, ich habe schließlich reichlich Erfahrung mit meiner Psyche) – mein Schutzschild hat sich eingeschaltet und ganze Arbeit geleistet, hat den Pinsel genommen und die Bilder, die ich vergessen sollte, die ich nicht mehr sehen durfte, mit schwarzer Farbe übermalt. Nur den Schmerz und die schon entstandenen Gefühle, die letztendlich die graue Hexe  herbei lockten, die konnte er nicht wegwischen. Wie auch?

Der Abend naht und mit ihm kommt die Erleichterung. Das Ungeheuer lässt von mir ab ... Wie gut, dass ich nicht allein bin, dass ich jemanden an meiner Seite habe, der mich nicht fallen lässt, mit dem ich reden kann und der immer für mich da ist ... Wie gut, dass es Musik gibt, die ich in solchen Momenten hören kann, die mit meinen inneren Saiten im Einklang ist, die sich wie Balsam um meine Seele legt und den Schmerz lindert.

Es ist überstanden. Wieder einmal.

 

 Zum Thema Panik: https://www.rosa-andersrum.de/nachdenkliches/gefangen/

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Kommentare: 9
  • #1

    Geli (Mittwoch, 07 Februar 2018 13:56)

    Depressionen sind ein fürchterliches Monster, eingesperrt bleiben sie fern, aber wehe, die Käfigtür bleibt geöffnet.... Mit Panik umzugehen ist in diesen Situationen auch keine Kleinigkeit. Es tut mir so leid liebe Rosa.

    Trotz alles Widrigkeiten spürt man bei deinen Worten große Hoffnung und der Mensch an deiner Seite hilft. Das ist wunderbar und morgen schon, kann es wieder ganz anders sein.
    Herzlichen lieben Gruß Geli

  • #2

    Rosa (Donnerstag, 08 Februar 2018 19:22)

    Liebe Geli, danke für deine Herzlichkeit und fürs Mitfühlen. Und es geht mir wieder gut :-)

  • #3

    Christel Wismans (Samstag, 10 Februar 2018 17:12)

    Liebe Rosa,

    es tut mir schrecklich leid, dass dieses Gespenst aus deiner Kindheit noch heute nach so vielen Jahren die Kraft hat, dich nieder zu strecken. Ich kenne die Krankheit selber nicht, aber es braucht nicht viel Fantasie, sie sich vorzustellen. Oder kann man das nicht? Ist sie noch viel grausamer? Ich bin froh, dich bei Daggi zu wissen. Ich glaube, Liebe und Vertrauen sind das einzig wirksame Bollwerk, um nicht verschlungen zu werden. Lass dich drücken, Liebe!

  • #4

    Rosa (Sonntag, 11 Februar 2018 12:15)

    Liebe Christel,
    ich bin mir sicher, dass einer, der nicht von dieser Krankheit betroffen ist, sie sich auch unmöglich vorstellen kann, jedenfalls nicht so, wie sie in Wirklichkeit ist. Vielleicht ein Paradox, aber wenn die Depression von mir wieder ablässt, dann kann ich selbst kaum glauben, dass sie da war ... Weil sie der Lebensfreude so unendlich fremd ist ...
    Ich danke dir sehr fürs Lesen und deine Worte,
    Rosa

  • #5

    Enya Kummer (Sonntag, 11 Februar 2018 13:47)

    Liebe Rosa,
    ja, jeder, der das noch nicht mitgemacht hat, kann es sich nicht vorstellen. Wenn alles im Grau versinkt, Leben nicht mehr das scheint, was es eigentlich verspricht. Sehr eindringlich, mit starken Bildern hast du diese Kraft geschildert, die einen so vehement aus dem Gleichgewicht bringen kann.
    Es tut mir sehr leid, dass du dich ihr immer wieder stellen musst.
    Ich bewundere deinen Mut, deine doch so tief sitzende Lebensfreude, dass du diesem Grau begegnen kannst, wieder und wieder. Und dass du die Hoffnung nicht aufgibst.
    Alles Liebe
    Enya

  • #6

    Barbara Theisen (Sonntag, 11 Februar 2018 14:02)

    Liebe Rosa, wie Du es beschreibst, so bildhaft, man sieht sie, den Greifen nah.
    Sehr bedrückend aber auch beeindruckend. Liebe Grüße!

  • #7

    Marion Krüger (Montag, 12 Februar 2018 01:50)

    Liebe Rosa,
    ich dachte beim Lesen, ich lese über mich. Oh, ich kenne sie auch diese Tage. Ich bin zum Glück auch nicht allein und kann immer zu meiner Partnerin gehen und reden, aber selbst das tu ich oft nicht. Nicht weil ich nicht will, nein ich kann dann auch selten reden.
    Ich soll mich mehr bewegen, nach der Knie-Op. letztes Jahr und auch wegen dem Diabetes, aber jeder Schritt fällt mir schwer und hinterher und in der Nachr, sind die Schmerzen so schlimm, dass ich nicht liegen bleiben kann. Dier Kreislauf lässt mich verzweifeln.
    Ich danke Dir für diesen Text, denn auch ich mache weiter und weiter, obwohl ich manchmal nicht weis, wie.

  • #8

    Katari (Montag, 12 Februar 2018 03:44)

    Liebe Rosa,
    erst dachte ich, Hey woher kennt sie mich so genau, woher weiß sie so viel über mich, doch beim weiter lesen, merkte ich dann, das es zwar mein Monster ist, aber es doch deine Geschichte. Oh wie ich es hasse, du kannst nicht einfach leben wie du willst, denn plötzlich, ganz unerwartet nimmt es Besitz von dir, raubt dir den Atem, schmeißt dich aus der Bahn. Bei mir fing es 1997 an und kommt mal mehr mal weniger, gestern Abend hat es wieder zugeschlagen, es hat mich wie ein Hurrican gepackt, ich wusste nicht wo oben noch unten ist. Angst und Panik hielten mich umarmt.
    Ich kann dich so gut verstehen, liebe Rosa.

    Viele Grüße , Katari

  • #9

    Rosa (Dienstag, 13 Februar 2018 14:40)

    Danke euch, liebe Enya, Barbara, Marion und Katari fürs Lesen und eure aufmunternde Worte. Ja, es gibt so viele Menschen, die von Depressionen verfolgt werden, viel zu viele, die damit leben müssen. Ich wünsche euch allen, dass diese "graue Hexe" euch nicht entgültig die Lebensfreude raubt, nie Oberhand gewinnt, dass ihr sie immer wieder vertreiben könnt. Immer und immer wieder, und hoffentlich auch irgendwann auf nimmer wieder.
    Herzliche Grüße
    Rosa
    Rosa