In Omsk 1

"Die Reise zurück - Wo ich einmal war", Teil 3.1

Bahnhof Omsk
Bahnhof Omsk

Der Ausstieg aus dem Zug glich für mich persönlich einem Eintritt in meine Vergangenheit. Plötzlich war ich wieder mittendrin, sah den alten Bahnhof, hörte aufs Neue seine Geräusche – die Ansagen aus den Lautsprechern, das Hupen der PKWs und die Warnsirenen ihrer Alarmanlagen. Sie waren mir so vertraut und gleichzeitig irgendwie befremdlich. Dieses intensive erste Gefühl glättete sich im Laufe des Aufenthaltes in Omsk, ganz konnte ich meine innerliche Anspannung  jedoch nicht loswerden.

Wir wurden schon von Eugenia, der Nichte meines Exmannes, erwartet. Sie fuhr uns direkt zu ihrer Mutter Olga (Schwägerin meines Ex). Olga und ihre Freundin Galina hatten schon den Tisch gedeckt, auf dem sich selbstverständlich auch eine Flasche Wodka befand. Und so – mit Wodka – begann unser Aufenthalt in Omsk und mit Wodka endete er eine Woche später.

Olga hatte uns für die gesamte Zeit ihre Einzimmerwohnung überlassen, sie selbst wollte so lange bei der ältesten Tochter wohnen. Das war sehr großzügig von ihr, damit brachte sie auch viel Vertrauen uns entgegen, obwohl Sylvia und Dagmar ihr völlig fremd waren.

Es war eine kleine, aber gemütlich eingerichtete Wohnung. Allerdings verlor die Gemütlichkeit ein wenig an ihrem Wert, als direkt am zweiten Tag das warme Wasser abgestellt wurde. Das war üblich in Omsk im Sommer, und die Erklärung dafür: Die Heizung sowie die Wasser-Versorgung ist in Omsk zentralisiert und wird von einem Werk aus gesteuert. Im Sommer, um die Leitungen zu warten, wird für ca. zwei Wochen nach und nach in jedem Teil der Stadt das warme Wasser abgestellt, für ein-zwei Tage sogar das kalte. Somit hatten wir für den Rest der Woche keine Möglichkeit mehr, richtig zu duschen. Ich kannte das ja von früher und nahm es gelassen, die zwei anderen fanden es jedoch gar nicht gut. Aber wirklich – musste das denn gerade jetzt sein?

Dagmar hinter Gittern

Zu dem vergitterten Balkon gibt es eine Geschichte, die Olga uns lachend erzählte. Eines Nachts, als das Gitter noch nicht vorhanden und auf dem Balkon Wäsche zum Trocknen aufgehangen war, wurde sie von einem Geräusch aus dem Schlaf gerissen. Es war Sommer und tagsüber sehr heiß, auch für die Nacht blieb noch genug Hitze über. Daher sparte sich Olga ein Nachthemd und schlief, lediglich mit einer leichten Decke bedeckt.

Sie sah, wie eine dunkle Gestalt sich an den Wäscheleinen zu schaffen machte. Leise, ohne groß zu überlegen, jedoch mit hämmerndem Herzen, holte sie aus der Küche das Nudelholz, stürmte nackt wie sie war auf den Balkon und drosch damit laut schreiend auf den Einbrecher ein, der gerade am Abräumen der Wäsche war. Der Unbekannte schrie selbst vor Schreck noch lauter, ließ alles stehen und fallen und rutschte blitzschnell den Balkon hinunter. Nach diesem Vorfall hat Olga den Balkon vergittern lassen.

Wir waren viel eingeladen und meistens mit dem Bus unterwegs. In Omsk werden zusätzlich zu dem Linienverkehr kleine Taxibusse oder Großraumtaxis eingesetzt. Gewöhnlich nahmen wir diese, etwas bequemere Fortbewegungsmöglichkeit in Anspruch. Das allererste dieser Fahrzeuge, in das wir einstiegen, hatte innen-drin lustige Aufkleber mit Bienenmotiven. Wir fanden sie sehr süß und so wurde dieses Transportmittel von uns auf den Namen Binkibus getauft.

Ab und zu fuhren wir auch mit ganz normalen Taxis. Die Fahrten selbst waren allerdings alles andere als normal. Einmal saßen wir zu sechst im PKW: Olga, Galina und wir drei plus Fahrer; ein andermal hatte das Taxi kein Wasser in der Scheibenwaschanlage, es war jedoch nach dem Regen feucht und matschig, die Scheibenwischer kratzten unentwegt übers Glas, verschmierten den Dreck nur noch mehr, sodass man kaum die Straße sah ... Wie durch ein Wunder gelangten wir doch noch an unser Ziel, womöglich spielte aber die nackte Frau, deren Bild an der Frontscheibe klebte, für uns den Schutzengel. Der Rückweg spätabends war auch nicht ohne ... Wieder in einem Taxi sitzend, schreckten wir hoch, als der Fahrer plötzlich die Warnblinker einsetzte. Er beruhigte uns: "Nur keine Panik, ich fahre mal schnell durch die Einbahnstraße" ... verkehrtherum und verkehrswidrig, versteht sich.

An diesem Abend waren wir übrigens zu Besuch bei Lina, Cousine meines Mannes, und danach ziemlich beschwipst, da uns selbstgebrannter Wodka angeboten wurde. Man teilte uns vorsorglich mit, dass er mindestens 60% hätte. Wir probierten – uns konnte nichts mehr aus der Fassung bringen – und staunten, denn er fühlte sich gar nicht so stark an, ging zwar feurig die Kehle runter, war aber sogar angenehmer, als Wodka aus dem Laden, der natürlich auf dem Tisch auch nicht fehlte.

Lina, selbst Bibliothekarin und Abteilungsleiterin in der Unibibliothek, lud zum Treffen noch zwei meiner früheren Arbeitskolleginnen ein – Nadja und Vera – , sowie den Freund meines Exmannes Nikolaj (von Beruf auch Bibliothekar).

Da wir beim Thema sind: Pushkin-Library ...

Dostojewskij-Denkmal

Der Schriftsteller Fedor Michailowitsch

Dostojewskij verbrachte zwar vier Jahre in Omsk (von Dezember 1849 bis Februar 1854), es waren aber Gefängnis-Jahre. Er gehörte in Sankt Petersburg einer Gruppe junger Intellektueller an, die sich "Petraschewzen-Zirkel" nannten – nach dem Gründer Michail Butaschewitsch-Petraschewski. Sie diskutierten über Literatur und kritisierten die Politik und den Zaren. Zu jener Zeit waren solche Gruppierungen in Russland verboten.

Im April 1849 wurden die Mitglieder der Gruppe, unter ihnen Dostojewski, verhaftet und als politische Verschwörer verurteilt. Zunächst sprach man wegen "Verrats an der Nation" die Todesurteile aus – Dostojewski und seine Kameraden sollten Anfang 1850 durch ein Erschießungskommando hingerichtet werden. Erst im letzten Moment begnadigte Zar Nikolai I. die Angeklagten und änderte die Strafe in vier Jahre Verbannung und Zwangsarbeit in Sibirien.

Binnenhafen

Diese Skulptur "Derschawa" (der Name bedeutet so viel wie Macht oder Power) wurde 1997 vom  Bildhauer Wassili Trokhimchuk erschaffen (auch Schöpfer des Reliefs am Gebäude der Landesbibliothek – "Puschkin Library"). Es ist eine sieben meter hohe Gedenktafel, in Form einer Kugel. Die Reliefs am Gürtel erzählen über die russischen Pioniere, die Sibirien erkundet haben.

Aufgrund fehlender Mittel wurde das Metall auf dem Gehäuse mit Fiberglas und die Reliefs mit Gemälden ersetzt. Die Skulptur steht auf dem Platz, der den Namen Buchholz trägt (Gründer der ersten Omsk-Festung, Mitarbeiter des Peter I.). Deswegen bekam sie den Spitznamen „Buchholz-Ei“. 

Wegen des vorzeitigen Todes des Bildhauers konnte die Arbeit am Buchholz-Ei nicht beendet werden. Ob die Skulptur den Platz vor dem Binnenhafen schmückt, ist zweifelhaft. Es gibt Pläne, das "Ei" verschwinden zu lassen und es mit einem Denkmal für Peter I. zu ersetzen.

Binnenhafen – ein modernes Gebäude, in dem es ein paar kleine, aber teure Geschäfte gibt - mit Elektronik und dergleichen. Im Inneren erlebten meine Mädels einen Kultur-Schock, als sie die dortige Toilette benutzen wollten. Ich wartete draußen, als sie nach kurzer Zeit mit entsetzten Gesichtern herauskamen ... unverrichteter Dinge. Ich solle mir mal die Toiletten ansehen. Das tat ich ... So schlimm war es gar nicht, ich kannte viel schlimmere Zustände. Es gab drei Kabinen, die voneinander mit einer niedrigen Wand getrennt waren, sodass man im Stehen die Nachbars-Köpfe nebenan sah und unten konnte man auch eingehend fremde Füße, besser gesagt Schuhe, betrachten. Die Kloschüsseln waren ebenerdig eingelassen ... zum Niederhocken. Aus Metall und mit rostigen Flecken, sahen sie, zugegeben – alles andere als schön aus, aber sie waren sauber. Ich sagte den zweien lachend, sie sollen sich nicht so anstellen, aber ich konnte sie verstehen und schämte mich, ehrlich gesagt, für meine Heimatstadt. Dann blieb Daggi draußen schmierestehen, während Sylvia in meiner Begleitung die Toiletten filmte. Wir haben immerhin keine Fotos gemacht!

 Fortsetzung folgt

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Kommentare: 2
  • #1

    Christel Wismans (Mittwoch, 27 Januar 2016 16:26)

    als ich zum ersten Mal in meinem Leben so eine Toilette in Südfrankreich gesehen habe, habe ich sie nicht als solche erkannt und bin unverrichteter Dinge wieder raus und auf die Suche gegangen...
    Schön zu lesen, dass die Familie deines Ex dich und deine Freunde so freundlich und ungezwungen aufgenommen hat.

  • #2

    Ilona Munique (Freitag, 19 Februar 2016 11:29)

    Binkibus – wie nett! :-)

    Das Buchholz-Ei ist zwar voluminös, wie so vieles in Russland, doch ich find's gar nicht mal so übel.

    Diese Art Toiletten erlebte ich im Jahr 2000 ebenfalls, und zwar in der Nationalen Technischen Universität der Ukraine, Kiewer Polytechnisches Institut (KPI). Sie gilt als eine der größten ihres Landes, und dennoch musste Toilettenpapier selbst mitgenommen werden. Doch hygienisch ist die Geschichte schon, dass muss man sagen. Und richtig, in Paris hatte ich das schon gesehen, ist aber eine Weile her.

    Spannend, freue mich auf die Fortsetzungen, liebe Rosa!