Die Heiratsfrage

Es kommt hin und wieder vor, dass ich 'Oma-Dienst' machen muss. Das heißt - die Enkelkinder wecken und zur Schule bringen, wenn die Eltern - beide - Frühschicht haben, danach muss ich natürlich noch selbst zur Arbeit fahren.

An solchen Tagen geht bei mir der Wecker schon kurz nach fünf. Weit fahren muss ich zum Glück nicht und die Kinder sind schon so selbstständig, dass sie nur ein bisschen Aufsicht brauchen, auch das Aufstehen fällt ihnen nicht schwer.

 

Der Zwölfjährige ist morgens nicht besonders redselig, die Erstklässlerin Julia hingegen legt los, kaum dass sie die Augen aufhat. „Oma, ich will dir was zeigen … Oma, weißt du was …“ Sie demonstriert mir ihre neuen Spiel- oder Anziehsachen, erzählt, was so alles in der Schule passiert ist und, und, und ...

Heute Morgen ... Julia ist etwas schweigsamer als sonst. Beim Frühstück fragt sie mich unvermittelt: "Oma, hast du Opa geheiratet?"

Ich stutze ein wenig: "Warum fragst du?"

"Ich habe gesehen, dass Daggi auch so einen Ring hat wie du". Sie deutet auf meine rechte Hand und schaut mich fragend an.

Nicht sofort, aber ich verstehe den Zusammenhang zwischen der Frage und darauffolgendem Satz. Julia musste überlegt haben: Wenn Oma einen Ring hat, dann ist sie verheiratet, aber doch nicht mit Opa? Opa lebt doch nicht mehr ... Oder war sie mit Opa gar nicht verheiratet? ... Ist sie denn mit Daggi verheiratet?

Mir kommt nicht mal in den Sinn, eine falsche Antwort zu geben, und so sage ich aufrichtig: "Ja, das hast du richtig gesehen. Daggi und ich sind zwar Frauen, aber wir können heiraten, und das haben wir auch getan, weil wir einander lieben und füreinander da sein wollen."

"Ja-a! Ich habe im Fernsehen gesehen, da haben zwei Jungs geheiratet!" Die Kleine ist sichtlich erfreut, dass sie so ein gutes Beispiel parat hat.

Wir reden noch über den Opa und sie bedauert, dass er tot ist und sie ihn nicht kennenlernen konnte. Ich erzähle ihr davon, dass Opa und ich auch verheiratet waren, dass wir uns aber getrennt hatten. Wie erwartet, fragt sie: "Warum?"

"Nun, wir hatten uns nicht mehr so gut vertragen und oft gestritten. Deswegen beschlossen wir, getrennte Wege zu gehen. So etwas passiert schon mal im Leben."

Meine Enkelin nickt verstehend und rührt nachdenklich in den Resten ihres Kelloggs.

Auch ich bin nachdenklich, erinnere mich, wie ihr Bruder im Alter von fünf Jahren mir ähnliche Fragen gestellt hat.

Ja, die Zeit kommt und die Kinder wollen Antworten. Ehrliche Antworten. Es ist ein schönes Gefühl, wenn du merkst, dass sie  verstehen, was du meinst, dass sie dich lieben und keine Vorurteile haben.

Nächsten Freitag tritt übrigens Daggi ihren 'Dienst' an. Dann wird sie ihre Stiefenkelin von der Schule abholen, weil die Eltern an dem Tag beide Spätschicht haben. Julia freut sich schon darauf: "Dann kann ich wieder mit Daggi Hausaufgaben machen!"

Die zwei verstehen sich nämlich bestens :-)

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Kommentare: 5
  • #1

    Geli (Freitag, 27 Februar 2015 21:50)

    schön, liebe Rosa, so lebendig erzählt. Du hast tolle Enkelkinder, alles Liebe Dir und Dagmar
    Geli

  • #2

    Rosa (Freitag, 27 Februar 2015 22:02)

    Danke, Geli! :-)

  • #3

    Enya Kummer (Freitag, 06 März 2015 16:25)

    Das ist so schön, liebe Rosa.
    Zum Glück sind Kinder oft noch ohne Vorurteile, wenn sie es nicht dauernd anders von außen hören - und sie verstehen so viel.
    Daher verdienen sie auch immer ehrliche Antworten.
    Vormachen kann man ihnen nichts.

    Sehr schön einfühlsam hast du das beschrieben.

    Alles Liebe dir und Dagmar und deinen tollen Enkelkindern
    Enya

  • #4

    Rosa (Sonntag, 08 März 2015 14:57)

    Herzlichen Dank, Enya!

  • #5

    Christel Wismans (Freitag, 06 November 2015)

    liebe Rosa,
    eine schöne Geschichte.
    Enkelkinder sind etwas ganz Besonderes. Ich erlebe es auch immer wieder. Vor allem bei den Mädchen. Sie fragen mich Dinge, die sie ihre Mutter wohl eher nicht fragen. Und ich sehe das genauso wie du: sie verdienen absolute Ehrlichkeit. Sie verstehen und akzeptieren, tolerieren und vertrauen uns. So entsteht Liebe.